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Modfied: Freitag, 24. August 2007
Marie-Luise Otten: Traumschiff Malerei

Mit der Ausstellung »Traumschiff Malerei« wollen wir zu dieser Zeit und speziell hier im Museum der Stadt Ratingen, das sich in einer Umbruchsituation befindet, unsere Position verstärkt dokumentieren, die eindeutig ihren Schwer-punkt in der zeitgenössischen Kunst hat.
Wir sind der Ansicht, dass gerade jetzt eine museale Übersichtsausstellung über die aktuelle Entwicklung einer jungen, figurativen Malerei notwendig ist, denn sie schließt hier im Rheinland ganz entschieden eine Lücke im Aus-stellungsangebot der Museumslandschaft.
Der seit nunmehr 16 Jahren bestehende Verein der Freunde und Förderer des Museums der Stadt Ratingen als versteht sich als private Initiative, die sich neben der allgemeinen Förderung des Museums seit seiner Gründung im besonderen mit der Entwicklung und Durchführung von Ausstellungen zur Kunst nach 1945 und deren zeitgenössi-schen Erscheinungsformen befasst hat.
Die sechs Positionen junger deutscher Malerei sind herausragende Beispiele einer neuen Generation junger und jüngster Malerinnen und Maler, die - inspiriert durch eine ältere Malergeneration - Malerei, so scheint es, wieder als »Selbstzweck« praktiziert, ohne dabei inhaltliche Bezüge zu verlieren.
Gemeinsamer Nenner ist - neben der herausragenden malerischen Qualität der ansonsten unterschiedlichen Posi-tionen - der Bezug zu Düsseldorf. Mit Ausnahme von Miriam Vlaming, die in Düsseldorf geboren ist, aber in Leipzig studiert hat, sind alle ausgewählten Malerinnen und Maler Absolventen der Düsseldorfer Kunstakademie und gehö-ren - geboren zwischen 1971 und 1978 - einer sehr jungen Malereigeneration an, die bei Krieg, Lüpertz, Penck und Immendorff studiert hat und jetzt eigene Wege geht.
Historisch gesehen ist hier eine neue Bewegung in der Malerei zu konstatieren, die sich deutlich von den vorange-gangenen Strömungen der 1980er und 1990er Jahre absetzt, weder als »wild« zu bezeichnen, noch vorwiegend analytisch geprägt ist, dafür aber mit delikatem Farbsinn, inhaltlichem Witz und Entdeckerfreude unterschiedliche interpretatorische Bewusstseinsebenen durchdekliniert.
Vom Sujet her sind schlagwortartig als Eckpunkte dieser neuen Malerei zu nennen:

• die Affinität zur Romantik

• eine neue Aktualität der »Idylle«, auch in ihrer gleichzeitigen Brüchigkeit

• die wiederentdeckte Vergangenheit

• das verlorene Foto

• der einsame junge Mensch

• die Natur und ihre Gefährdung

• die Verletzbarkeit der Seele

Mit einer erstaunlichen Frische und Vielfalt werden sowohl die technischen Möglichkeiten von Malerei neu ausgelotet und demonstriert, als auch offenbar, wohl kalkuliert eingesetzt, eine Untersuchung ihrer jeweiligen Wirkungsweise mit einbezogen. Es hat den Anschein, als ereigne sich in einer Art offenem Entstehungsprozess »malenden Tuns« eine Reflexion sowohl über deren Herstellungs- als auch über deren Wahrnehmungsprozess, ein Spiel mit der Wahrnehmung also, der eigenen und der des Betrachters, jenseits des Erwarteten.
Unsere Ausstellung heißt: Traumschiff Malerei. Sicherlich werden sich alle gefragt haben, wie wir auf diesen Titel gekommen sind und was es damit wohl auf sich hat.
Als unser neuer Vorstandskollege, Ralph Kleinsimlinghaus, mit diesem Vorschlag ankam, war ich intuitiv sofort dafür, und zwar weniger, weil ich die von dem Begriff »Traumschiff« möglicherweise zunächst implizierte Südsee-romantik oder Sonnenuntergänge am Meer und die Sehnsucht nach der Ferne im Kopf hatte und damit verbinden konnte.
Das Substantiv »Traum« wird gebraucht im Sinne von »im Schlaf auftretende Vorstellungen«, »sehnlicher Wunsch«, »traumhaft Schönes« usw. Etymologisch, also von der Herkunft her, gehört das altgermanische Substan-tiv, mittel- und althochdeutsch »troum«, niederl. »droom«, engl. »dream«, und schwed. »dröm« zu der Wortgrup-pe »trügen«.
Das auf das deutsche und niederländische Sprachgebiet beschränkte Verb »trügen«, also »irreführen, täuschen«, ist im germanischen Sprachbereich eng verwandt mit dem altisländischen »draugr«, »Gespenst« und so wiederum auch mit dem bereits erwähnten Substantiv »Traum« (eigentlich »Trugbild«).
Der aus dem griechischen entlehnte Begriff »trauma«, (Wunde) schließlich wird seit dem 19. Jahrhundert in den Fachsprachen von Medizin und Psychologie gebraucht im Sinne von »Verletzung, Wunde«, »seelischer Schock«, und »starke seelische Erschütterung«.
Die Erklärung zu dem zweiten Wortteil »Schiff« erspare ich Ihnen, geneigter Leser, jetzt - da siegt die Kunsthistori-kerin über die Germanistin - aber sie haben gesehen, wie nahe wir mit diesen einfachen Betrachtungen und Ausle-gungen eines Begriffes zu einer möglichen Interpretationsebene vorgestoßen sind, die für die hier ausgestellten Leinwandbilder und Papierarbeiten von Relevanz sein könnten.
Die Kunstgeschichte hält für uns selbstverständlich auch etwas bereit. Bei eingehender Betrachtung der in Ratingen ausgestellten Werke, die für mich ein glänzendes Beispiel dafür sind, was Malerei heute und immer wieder zu lei-sten vermag, kam mir die »Hypnerotomachia Polifili« (griech. »Traumliebeskampf des Polifilo«) in den Sinn.
Dies ist ein allegorischer Roman, der 1499 bei Aldus Manutius in Venedig anonym erschienen und dessen Verfasser wahrscheinlich der Dominikaner Francesco Colonna ist.
Im Rahmen einer traumhaften Liebesgeschichte werden philosophische und künstlerische Anschauungen der Renaissance ausgebreitet, insbesondere wird das Altertum und seine Kunst verherrlicht.
In enger Verbindung mit diesem Inhalt steht eine Reihe von Holzschnittillustrationen, die in ihrer durchsichtigen Klarheit zum schönsten gehören, was die italienische Graphik der Renaissance hervorgebracht hat.
Kein Geringerer als der venezianische Maler Giorgione soll sich durch einen dieser Holzschnitte zu seiner »Ruhen-den Venus« von 1508, heute in der Gemäldegalerie Dresden, hat anregen lassen.
In dem grandiosen Bild wird zum ersten Mal eine weibliche, inmitten der Natur ausgestreckt schlafende Aktfigur dargestellt. Mit dieser Inventio, also Erfindung, wurde ein Bildtypus mit weit reichender Wirkung geschaffen: Tizian, Velazquez bis hin zu Manet. Und jeder vermochte es auf unnachahmliche Weise diesem Typus neue Delikatesse zu verleihen.
Und das ist der eigentlich springende Punkt: Das »Unbekannte in der Kunst« kann auch aus »Bekanntem« erwach-sen, sofern es das Vorgefundene nicht einfach nachahmt.
In Humanismus und Manierismus nahmen die »Emblematik« und in deren Folge die »Hieroglyphik« einen bedeutenden Aufschwung, als deren literarisches Vorbild die »Hypnerotomachia« gelten kann und, wie wir gesehen haben, von den Künstlern wie eine Art »Musterbuch« gebraucht wurde.
Mit ihren Illustrationen stellt das Buch das früheste Beispiel eines zusammenhängend lesbaren Satzes in Bilder-schrift dar, ist Sammelbecken einer Unzahl archäologischer Quellen und für Jahrhunderte gültiger Künder eines fabulösen Altertums, deren Termini auch in die Architekturtraktate der Zeit Eingang fanden.
Kunst ist, um sich zu bewahren, gezwungen, sich ständig zu erneuern, sich immer wieder der Aneignung, den Er-wartungen zu widersetzen, auch den kategorialen Einteilungen, die für die Kunst von der Ästhetik bereitgehalten werden.
Was die Position des Künstlers betrifft: Das schöpferische Tun ist ein Vorgang, der sich in den Anfängen der Formhandlung - jenseits von »abstrakt« und »gegenständlich« - in erster Linie als Idee definiert, gelagert im Spannungsfeld von Intuition und Intellekt. Seine zeitlose Aura bezieht das wahre Kunstwerk aus seiner Einmaligkeit.
Seit es Malerei gibt, und dies gilt im Besonderen für unsere globalisierte Welt mit ihrer uns bis ins Unterbewusstsein verfolgenden Bilderflut, sind die jeweils zeitgenössischen Malerinnen und Maler mit dem Problem konfrontiert, der Fülle der in den Augen des Betrachters schon vorhandenen, vergleichbaren Bildern, Assoziationen und Erinnerungsbildern etwas Eigenes, so nicht Erwartetes oder so noch nicht Dagewesenes entgegenzusetzen, um das aktuelle ästhetische Potential in den Bildern sichtbar werden zu lassen. Aber aus dieser Not kann auch eine Tugend werden.
Von dem großen Kunsthistoriker Aby Warburg stammt der Satz, zwischen dem Betrachter und seinem Objekt, also dem Kunstwerk, erstrecke sich ein variabler Denkraum, den Logik erweitern, Magie hingegen zusammen ziehen könne. Demzufolge wird das Dinglich-Reale abstrakt und der mythische Gehalt konkret. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich beispielsweise der Bildbegriff des Manierismus.
Mit dem eigenen Wissen um die Entwicklung der Kunst- Wissenschafts- und Naturgeschichte, der historischen Ver-gangenheit, der Geschichte der Dinge, Texte und Ideen, befindet sich der Künstler der Gegenwart in einer multiplen Wirklichkeit, die er für sich, in gewisser Weise virtuell dem früheren »Musterbuch« vergleichbar, impulsgebend für seine Zwecke nutzen, in einen anderen Kontext setzen und auf eine andere Bewusstseinsebene herausheben und transformieren kann. Neu Fragestellungen, Gedanken, Vorstellungen und Überlegungen, gerichtet an das so ge-nannte »alte Wissen«, werden so zu neuen Wegen und Vorgehensweisen führen. Dies gilt sowohl für die Inhalte als auch für die Technik.
Malerei ist, selbst wenn sich die Funktion der Bilder im Laufe der Jahrhunderte geändert hat, zu jeder Zeit eine aus der Vorstellung erwachsene und erarbeitete Darstellung äußerer sowie innerer Bilder und Wahrnehmungen.
Reflektierte Erinnerungen, in Bilder übersetzte Sprache, Phantasmagorien und Horrorszenarien, Urängste, Sehn-süchte oder Träume, die ganze Bandbreite menschlichen Lebens in Welt und Natur, fanden so zu allen Zeiten Ein-gang in die Bildsprache der Maler.
Abstraktion und Gegenständlichkeit sind dabei keine wirklichen Gegensätze. Der Wirklichkeit suggerierende Reali-tätsgehalt früherer Bilder ist Illusion. Ein Bild ist ein Bild, ist ein Bild. Es kann nur um gut oder schlecht gehen.
Es gibt keine ewigen ästhetischen Normen. Was für Raffael stimmte muss für Cézanne, Picasso, oder die Abstrakten nicht gelten. Wenn die große Kunst der Vergangenheit heute oft für verständlicher gehalten wird als die zeitgenössische, so liegt das an der Vertrautheit vortäuschenden Gewohnheit, Gegenstände und Personen erkennen zu können und damit umzugehen.
Ab er wie wäre man ohne Erklärungen und theoretische Vorgaben, ohne Kenntnis beispielsweise der Bibel oder anderer Schriften in der Lage, hochkomplizierte Bildprogramme und verschlüsselte Inhalte aus den Bildern herauszulesen, die die scheinbar erkennbaren Dinge, Szenen und Personen für uns bereithalten?
Nehmen wir beispielsweise die »Himmelfahrt Christi« oder die »Himmelfahrt Mariens«, das »Jüngste Gericht«: Wir alle haben womöglich eine Vorstellung, jeder eine andere. Also kann es bei solchen Darstellungen in der Kunst immer nur um die Vorstellung von Etwas gehen. Der Inhalt ist Metapher, oder gerät zur Pathosformel.
Adorno bemerkte, Kunst hätte immer, zu jeder Zeit, unverständlich zu sein. Das sei ihr Adel. So weit möchte ich eigentlich nicht gehen. Aber die Aura eines letzten Geheimnisses sollte jedes Kunstwerk für sich behalten, darin besteht ihr ureigener Reiz. Unsere Kommentare können nur eine Brücke zum Verständnis sein. Es sind Angebote.
Der Betrachter sollte sich auf das Abenteuer der Entdeckung einlassen und sich den Denk- und Wahrnehmungsauf-gaben stellen, die jedes einzelne Werk für ihn bereithält, und, nicht vergessen: sich an der Malerei erfreuen!